Macht Glaube arm?

■ Während eines vor einigen Monaten stattgefundenen Fluges von Deutschland nach England kam ich wieder einmal ins Gespräch mit meinem Sitznachbar. Es entstand eine interessante Konversation. Der betreffende Herr, ein Engländer und Ingenieur in demselben Alter wie ich, brachte dann das an sich sehr sachlich wie respektvoll vorgebrachte Argument ins Spiel, in jenen Ländern, in denen Religion und Gläubigkeit stärker ausgeprägt seien, sei auch weniger Wohlstand anzutreffen bzw. breitere Schichten der Bevölkerung würden eben Armut erfahren.
Nun, auf den ersten Blick kann man wohl wirklich ein solches Phänomen feststellen. Wenigstens manche Länder, bei denen im Volk und in der Gesellschaft die katholische Religion eine größere Rolle spielt (oder spielte), haben nicht ganz so hohen Stand an Wohlstand und Reichtum erreicht wie in jenen Ländern, die zu ihren großen „Leistungen“ rechnen, sich stärker vom christlichen Glauben entfernt oder sogar weitestgehend verabschiedet zu haben.
Kann diese Feststellung dann aber tatsächlich als ein Argument gegen den Glauben und für die sogenannte liberalistische „Aufklärung“ dienen, als ob der Glaube an Gott an sich nämlich dem menschlichen Fortschritt im Weg stünde und somit nur eine Last für die Menschheit bedeutete, wie es nicht wenige vor allem in liberalen und linken Kreisen gern sehen und darstellen?
Im Folgenden werden wir uns in diesem Artikel schwerpunktmäßig auf die christliche Welt konzentrieren, und nicht unbedingt etwa auf die moslemische oder buddhistische. Wir sind katholische Christen und wollen die gestellte Frage in Bezug auf unseren Glauben untersuchen. Im Islam und Buddhismus gelten zudem teilweise auch ganz andere Wertvorstellungen.
■ Nun, es wäre zunächst sowohl realitätsfern als auch geschichtsverdrehend, wollte man nicht sehen, wie sehr im Christentum der Wert der Arbeit grundsätzlich betont wird. Der hl. Josef, der Nährvater Jesu Christi, war ein Handwerker und wurde dann von der katholischen Kirche zum Patron aller Arbeiter erhoben. Jesus ging in Seinem Erwachsenenalter bis zu Beginn Seiner öffentlichen Heiland-Tätigkeit ebenfalls demselben Handwerk des Tischlers nach.
Der hl. Apostel Paulus formuliert es grundsätzlich: „Wir haben kein ungeordnetes Leben unter euch geführt und haben uns von niemand unser Brot schenken lassen. Vielmehr haben wir Tag und Nacht hart und schwer gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen. Nicht als hätten wir kein Recht dazu gehabt, sondern um euch ein Beispiel zu geben, dem ihr nachfolgen sollt. Schon als wir bei euch waren, haben wir euch geboten: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Und nun hören wir, dass einige von euch ein ungeordnetes Leben führen. Statt zu arbeiten, machen sie sich unnütz. Solchen Leuten gebieten wir nachdrücklich im Herrn Jesus Christus, sie sollen sich in ruhiger Arbeit ihr eigenes Brot verdienen.“ (2 Thess 3,7-12.) Es wird also der kritisiert, der nicht arbeiten will!
So waren es dann ja gerade Mönche, speziell die Söhne des hl. Benedikt von Nursia, des Vaters des abendländischen Mönchtums, die das heutige europäische Territorium erst gewissermaßen urbar gemacht und auch auf dem wissenschaftlichen Bereich die Grundlage der westlichen Zivilisation gelegt haben! Lautet ja das offizielle Ordensmotto der Benediktiner ausdrücklich: „Ora et labora“ – „Bete und arbeite“!
Die entscheidende Frage dann ist aber, welcher konkreten Tätigkeit man denn überhaupt nachgehen darf vom jeweiligen moralischen Standpunkt aus gesehen, um für den Lebensunterhalt zu sorgen bzw. um höheren Wohlstand zu erwerben. Darf man alle eventuell zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um zu Geld und Reichtum zu kommen, oder unterliegt man da im Glauben und Gewissen doch bestimmten Einschränkungen?
■ Hier ein konkretes Anschauungsbeispiel aus dem Bankwesen. Ein Bekannter machte in seinen jungen Jahren nach der Schule zuerst eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Danach trat er aber keine entsprechende Arbeitsstelle im Bankwesen an, sondern studierte etwas ganz anderes. Auf meine Frage, warum er denn nicht nach seiner Ausbildung arbeiten möchte, gab er zur Antwort, sie würden dort angeleitet, den Kunden nicht die günstigsten Konditionen anzubieten und somit sinngemäß primär den möglichst höheren Gewinn des betreffenden Kreditinstituts im Auge zu haben. Da er aber einen solchen Betrug am potentiellen Kunden moralisch nicht verantworten könne, wolle er erst gar nicht anfangen, im betreffenden Bereich zu arbeiten. Hoch anständig natürlich!
Wen wundert es dann aber, wenn Menschen, die z.B. gerade auf diesem Gebiet kein entsprechend ausgeprägtes christlich-katholisches Gewissen haben, doch gewisse „Vorteile“ besitzen beim Geldverdienen im Vergleich zu einem überzeugten Christen, für den gerade aufgrund seiner moralrelevanten Glaubensüberzeugung doch mehrere Einschränkungen bei der Wahl der Mittel zum Geldverdienen gelten? So gibt es auch eine ganze Reihe anderer Berufe, die für einen Katholiken eigentlich nie in Frage kommen können und dürfen, in welchen sich aber relativ leicht sogenanntes „großes Geld“ verdienen lässt.
„Nach dem NT (Neuen Testament) muss der Erlöste in der Not helfen auch ohne Hoffnung auf Wiedererstattung (Lk 6,35). Die Kirchenväter halten am Zinsverbot des AT (Alten Testaments) fest und bezeichnen mit Recht das Zinsnehmen bei Darlehen als Sünde gegen die Gerechtigkeit und Liebe (Ausbeutung der Not des Nächsten).“ (Stelzenberger, Johannes, Lehrbuch der Moraltheologie. Ferdinand Schöningh 1965, S. 325.) Zwar erlaubte die katholische Kirche dann später das Zinsnehmen unter bestimmten Bedingungen. Aber es gilt nach wie vor: „CIC (das Kirchenrecht – Anm.) can. 1543 stellt einen Kompromiss dar, der geschichtlich ganz richtig ist: strenges Darlehen ist zinslos; sonst ist das Zinsnehmen bei gesetzlichem Zins nicht unerlaubt. Benedikt XIV. anerkannte in „Vix pervenit“ vom 1. November 1745 erstmals die Zinstitel des lucrum cessans (entgehender Gewinn, nicht immer anerkannt. Heute ist dieser Titel gegeben, weil man überall gesetzlichen Zins erhält. – Anm.) und damnum emergens (entstehender Schaden aus dem Ausleihen des Geldes. Ausfall an Einnahmen – Anm.) (D 2546-2550).“ (ebd. S. 325.)
Wenn sich doch die modernen Banken an die betreffenden strengen Sittlichkeitsregeln der katholischen Kirche halten würden! Wurde ja gerade die Weltwirtschaftskrise 2008 durch Finanzblasen ausgelöst, die zur Ursache sowohl wildes und verantwortungsloses Spekulieren an den Börsen als auch unseriöse Vergabe von Krediten hatten. Hauptsache für viele Leute war, man mache ganz schnell sehr viel Geld und werde reich! Zwar wurden auf eine solche Weise gewisse Kreise wirklich sehr reich, aber auch viele andere Menschen haben dadurch ihr ganzes erspartes Kapital verloren!
Aber z.B. Rücksichtnahme auf die Not der Kunden und auch die Werte der christlichen Gerechtigkeit und Nächstenliebe gehören ja nicht zu den Werten, an denen sich das moderne Bankwesen bzw. turbo-kapitalistische System orientiert. So gesehen kann sich ein Katholik an solchen Aktivitäten, bei welchen sich sozusagen leichter viel Geld verdienen lässt, niemals beteiligen, weshalb auch eine mit einem ausdrücklich christlich-katholischen Sittlichkeitsbewusstsein ausgeprägte Bevölkerungsschicht es nie aufnehmen kann mit Menschen, die sich da nicht durch das aus einer bewussten moraltheologischen Haltung gewachsenen Gewissen entsprechend einschränken lassen.
■ Ferner orientiert sich ein Katholik in mancherlei Hinsicht auch grundsätzlich an ganz anderen Idealen bzw. stellt sich ganz andere Ziele im Leben als ein Mensch, der überwiegend weltlich gesinnt ist. Für einen tiefgläubigen Christen spielen im Unterschied zu einem Atheisten z.B. auch folgende Werte und Überlegungen eine große bzw. entscheidende Bedeutung: Glaube und sittlichkeitsrelevante Überzeugungen; Gottes Ehre; höhere Gerechtigkeit; erhöhte Rücksichtnahme auf das Wohlergehen anderer Menschen bzw. ihre legitimen Interessen; gottergebene Hinnahme von Nachteilen, die einem aufgrund der eigenen sittlichen Haltung entstehen; bewusster Verzicht auf Ziele, die sich nur auf eine für ihn unmoralische Weise erreichen lassen; generell übernatürliche Lebensziele; Seelenheil vor irdischem Genuss usw.
Ein solcher Mensch setzt dann daher bei weitem nicht alles darauf, unbedingt auch sehr wohlhabend und reich zu werden bzw. sich hier auf Erden auf welche Weise auch immer möglichst weitestgehend „auszuleben“. Selbstverständlich ist das Streben nach einem ordentlichen Auskommen für sich und die eigene Familie natürlich und gut. Nur bemüht sich ein gläubiger Christ bewusst, dem ungeordneten und unmoralischen Streben nach Mehr und Immer-Mehr, welches dann bildlich gesprochen „über Leichen geht“ und als schwersündhafte Gier bzw. Raffgier bezeichnet werden kann, bewusst zu widerstehen bzw. es zu überwinden!
Also lieber etwas weniger wohlhabend und reich, aber dafür ein ruhiges Gewissen, gewonnenes Vertrauen, ein guter Ruf und sehr oft auch viel bessere zwischenmenschliche Beziehungen. Man bedenke in diesem Zusammenhang auch, welche geistigen Impulse man durch das entsprechende eigene gute Beispiel dann z.B. gerade den eigenen Kindern und der jüngeren Generation geben kann, die sich durch entsprechende Anschauungsbeispiele oft mehr und stärker positiv beeindrucken lassen als nur durch schöne und richtige Worte.
Ein gläubiger Christ orientiert sich dabei vom Prinzip her wohl auch eher an den Worten Jesu, mit welchen Er ja ausdrücklich auf die großen Gefahren hinweist, die für den Menschen wegen seiner sittlichen Anfälligkeit vom Reichtum bzw. von einem ungeordneten und maßlosen Streben danach entstehen können: „Wahrlich, Ich sage euch: Ein Reicher wird nur schwer ins Himmelreich eingehen. Noch einmal sage Ich euch: Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes.“ (Mt 19,23f.)
Gab und gibt es denn nicht z.B. so manche Familien und Gemeinschaften, in denen man sich eigentlich gut verstand und ordentlich bis sehr gut miteinander auskam, bis eben das Geld ins Spiel kam? Kaum wird dann aber z.B. bei einem Sterbensfall der Eltern die Frage nach der Aufteilung der eventuell vorhandenen nennenswerten Erbschaft aktuell, zerstreiten sich die Kinder fast schon bis aufs Blut, obwohl sie sich bisher gut verstanden hatten. Neid, Missgunst, falscher Verdacht sind dann auf der Tagesordnung – eine bis dahin gut funktionierende und sogar glückliche Familie ist zerstört und deren Glieder untereinander zerstritten. Von bisheriger familiärer Harmonie und gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen keine Spur mehr, stattdessen nur Streit und Egoismus.
Da fragt man sich dann wirklich, ob denn ein höherer materieller Wohlstand bzw. der finanzielle Reichtum wirklich ein Indikator für eine fortschrittliche Gesellschaft sein kann, wie es gelegentlich letztendlich fälschlicherweise dargelegt und propagiert wird. Gibt es denn nicht viele Menschen in unseren westlichen Gesellschaften, die materiell praktisch alles haben, innerlich aber dennoch leer und unglücklich sind? Also kommt es offensichtlich auf andere Werte und eben geistige Reichtümer an, die dem menschlichen Leben einen besonderen, entscheidenden Wert geben, und der betreffende Mensch dann sein Leben als gut, erfüllt und glücklich ansieht: „Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Rost sie vernichten und wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost sie vernichten, wo keine Diebe einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ (Mt 6,19-21.)
Jesus hat sich bezeichnenderweise weder für die Abschaffung von Privateigentum und Besitz ausgesprochen noch hat Er den Reichtum und die Reichen pauschal und undifferenziert verurteilt. Nein, Er wies nur eindringlich auf die aus der verkehrten Anhänglichkeit an Geld und materielle Dinge entstehenden Gefahren hin. Und damit sich keiner eventuell über den anderen moralisch erhebe (so z.B. ein Armer über den Reichen), unterzog Er allein schon das ungeordnete Streben nach Reichtum einer eindeutigen Kritik, wodurch natürlich auch der gemeint ist, der zwar nicht viel an irdischen Gütern besitzt, sich in seinem Herzen aber von Neid und Gier danach schwer infizieren lässt!
Und auch als Jesus zu Beginn der Bergpredigt die Armen pries, lobte Er dabei keinesfalls die, die etwa in materieller und finanzieller Hinsicht besitzlos und bedürftig sind. Nein, bei der entsprechenden Seligpreisung meinte Jesus ausdrücklich die, die eine richtige Einstellung zu Reichtum und Besitz haben: „Selig die Armen im Geist! Ihrer ist das Himmelreich.“ (Mt 5,3.) Und zu solchen „Armen im Geist“ können sowohl materiell arme und Not leidende als auch gut versorgte als auch materiell sogar sehr reiche Menschen gehören. Bei Jesus kommt es auf die richtige Einstellung zu Geld und Besitz bzw. auf das Wissen um die eigene Verantwortung dafür vor Gott und Gesellschaft an!
Dieser von Jesus angemahnte richtige Umgang mit dem „ungerechten Mammon“ (Lk 16,9) soll sich dann auch gerade darin äußern, dass Reichtum nicht nur wie zum Selbstzweck angehäuft, sondern wie sonstige irdische Dinge gerade auch zur Linderung der Not Hilfsbedürftiger eingesetzt werden soll. So hat ja Jesus gesagt: „Wer zwei Röcke hat, gebe dem einen ab, der keinen hat; und wer Nahrungsmittel hat, mache es ebenso!“ (Lk 3,11) und ausdrücklich den Zöllner Zachäus gelobt, der sich voll Enthusiasmus bereit erklärt hatte: „Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen; und wenn ich jemand betrogen habe, so erstatte ich es vierfach“, nachdem er, da er kleinen Wuchses war, als nicht mehr junger Mann sogar auf einen Baum gestiegen war, um Jesus zu erblicken, und als Lohn dafür Jesus sogar im eigenen Haus bewirten durfte (vgl. Lk 19,1-10).
In diesem Zusammenhang sei vielleicht auch jener Menschen mit einem Wort des ehrlichen Bedauerns und einem Gebet unsererseits gedacht, die sich wegen irgendeiner starken Not oder sehr großen Armut ihrer Familie leider gezwungen sehen (und dann auch selbst furchtbar darunter leiden!), auf welche Weise auch immer unmoralisch handeln zu sollen, um die eigene Familie und Kinder entweder zu schützen oder sozusagen über die Runden zu bringen. Leider ist die Welt furchtbar ungerecht und nicht jeder findet die Kraft, die auf ihn einstürzenden Lasten und Bedrohungen auszuhalten, bzw. eine Möglichkeit, den Problemen zuerst einmal aus dem Weg zu gehen. Das ist hier kein Aufruf zur Relativierung geschweige denn Gutheißung von Unmoral, sondern lediglich zu Mitleid mit und dem Gebet für die Erpressbaren und dann auch tatsächlich „Schiffbrüchigen“!
■ Sicherlich hat auch die Einstellung der Menschen zu solchen Werten wie Ehe, Familie und Kinder Einfluss auf die Frage, wer jetzt wohlhabender oder eher etwas ärmer ist in einer Gesellschaft. Gerade die Anzahl der Kinder in einer Familie und Gesellschaft spielt hier eine große Rolle. Vergleicht man aber die Katholiken in einer Gesellschaft, für die ja auch das strengste Verbot der Abtreibung gilt oder auch das der künstlichen Empfängnisverhütung (z.B. die sog. Anti-Baby-Pille o.ä.) bzw. die ein Kind als ein Geschenk Gottes und Frucht der Liebe der Eltern zueinander ansehen sollen, mit protestantischen oder glaubensfernen Teilen der Bevölkerung desselben Landes, so weisen die Katholiken in der Regel sowohl eine geringere Scheidungs- als auch v.a. eine höhere Geburtenrate auf. Hat man aber mehr Kinder, hat man natürlich auch höhere Kosten und Ausgaben. Da ist man dann aber logischerweise auch weniger in der Lage, großes Kapital anzuhäufen, klar.
Allerdings muss diese sog. „Rechnung“ unbedingt auch mit einem anderen sehr wichtigen Faktor ergänzt werden, damit sie wenigstens annähernd stimmt und die Realitäten des menschlichen Lebens widerspiegelt. Familien, in welchen sowohl die eheliche Treue als auch der Kindersegen einen höheren Stellenwert haben, besitzen aber in der Regel auch einen höheren sog. Glücksfaktor! Denn man wird da durch das konkrete tägliche Leben von der Tendenz her stärker dazu veranlasst, z.B. die Selbstsucht abzulegen, Rücksicht auf andere zu nehmen, zu teilen. Das aber führt (auch bei Vorhandensein anderer Bestandteile gesunder Familienverhältnisse) seinerseits zu mehr Zusammenhalt und gegenseitiger Solidarität und lässt somit die betreffenden Familienmitglieder innerlich zufriedener, charakterlich gefestigter und emotional ausgeglichener werden. Kennt man ja das sprichwörtlich gewordene negative Gegenbeispiel der Einzelkinder…
Zwar setzt man in kinderreicheren Familien nicht primär auf großen Wohlstand und Reichtum, ist dann unter dem Strich aber dennoch (geistig) reicher und (allgemein menschlich) zufriedener! Ganz zu schweigen davon, dass feste und kinderreichere Familien sowohl die optimale Grundzelle einer jeden Gesellschaft bilden als auch dann dem betreffenden Volk und Staat mehr Perspektive für die Zukunft und eine gesunde Entwicklung bieten, was eine hinreichend erforderliche Zahl von Staatsbürgern, Steuerzahlern und Talenten angeht.
■ Ein bekannter älterer und erfahrener Priester aus den USA, mit dem ich vor einigen Monaten Korrespondenz zu diesem ganzen Thema geführt hatte, führte noch einen anderen, historischen Grund dafür an, weshalb Menschen in manchen Ländern mit überwiegend bis weitestgehend katholischer Bevölkerung sowohl in der Vergangenheit sehr arm als auch heute immer noch weniger wohlhabend sind als manche ihrer nichtkatholischen Nachbarn.
In einem Brief schrieb er mir nämlich: „Ebenso gab es in vielen Ländern viel Leid wegen der Glaubensverfolgung. Irland ist ein gutes Beispiel dafür. Unter Elisabeth (Königin Elisabeth I., 1533-1603, Tochter des Königs Heinrich VIII. – Anm.) wurden die Iren gezwungen, sich zum Protestantismus zu bekehren, sonst würden sie ihr Eigentum und ihre Häuser verlieren. Die meisten weigerten sich und lebten dann Hunderte von Jahren in Armut. Ihr Eigentum wurde ihnen von der Anglikanischen Regierung in England ungerecht und unmoralisch weggenommen. So sind sie heute immer noch dabei, sich von dieser Eigentumsbeschlagnahme zu erholen.
Es gibt viele Bücher, die dieses Leid beschreiben, besonders bezüglich der großen “Kartoffel-Hungersnot” der 1870-er Jahre, als nämlich mehr als eine Million Menschen verhungerte. Viele mehr wanderten in die USA, nach Australien und in andere Länder aus. Aber die Menschen (in Irland – Anm.), die verhungerten, starben nicht wegen des Mangels an Essen – sie starben, weil ihnen verboten wurde, das zu essen, was sie selbst auf dem (ursprünglich eigenen) Land anbauten, welches dann aber zum Eigentum protestantischer Landherren wurde.
Während dieser Hungersnot (welche die Iren als den „Großen Hunger“ bezeichnen, weil es ja keinen echten Lebensmittelmangel gab) wurde ein großer Teil der Felderzeugnisse von Irland nach England verschifft. Es gab genug an Essen, aber die Iren wurden darauf beschränkt, sich fast ausschließlich von Kartoffeln zu ernähren. Fiel aber die Kartoffelernte aus, verhungerten sie.“
■ Spricht man über die Zusammenhänge zwischen Glaube und Armut bzw. Reichtum, sollte auch das folgende Phänomen Erwähnung finden. Das Leben kennt nicht wenige Fälle, wo gute Christen und sogar vorbildliche Katholiken ein weitestgehend gottwohlgefälliges Leben geführt haben, bis sie dann eben zu größerem Geld oder Besitz gekommen sind. Als dies eintrat, erwies sich ihr Glaube leider doch nicht als stark genug, um bestimmten neuen Versuchungen erfolgreich zu widerstehen.
Denn man nimmt bei nicht wenigen Menschen und in vielen Gesellschaften wahr, dass mit zunehmendem wirtschaftlichem Erfolg und somit gewachsenem Wohlstand für die Bevölkerung sich leider auch die Versuchungen zu Stolz, Hochmut und Überheblichkeit verstärken. Nicht wenige Menschen erliegen dann eben diesen Versuchungen und fangen an, von der Tendenz her zu meinen, sie würden alles wissen bzw. alles selbst können. Ihre vorherige Demut vor Gott, ihr Gottvertrauen und ihre Ergebenheit in den Willen Gottes nehmen ab, stattdessen breitet sich die Mentalität aus, sie seien klug und clever und bräuchten eben nicht mehr so viel Gott.
Daraus resultiert dann aber auch der Verlust der Ehrfurcht vor Gott, des tiefen Respektes vor der Kirche als Seiner Heilseinrichtung und der Hochachtung vor den hl. Sakramenten als den von Ihm eingesetzten Heilsmitteln! Man schaue sich da nur die entsprechenden Entwicklungen in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern nach dem 2. Weltkrieg an. Als alles zerstört und man selbst arm war, wandte man sich (noch) im Gebet an Gott. Als dann aber in den 1950-er Jahren das sog. Wirtschaftswunder einsetzte und die Bevölkerung zu gewissem Wohlstand kam, haben doch leider viel zu viele Gott zuerst hintenangesetzt und dann vielleicht sogar ganz vergessen, um eben scharenweise den Götzen einer hedonistisch und somit auf oberflächlichen Spaß und weltlichen Genuss ausgerichteten Gesellschaft nachzulaufen und zu frönen.
Somit wäre es eigentlich grundsätzlich nicht zutreffend, die historische Ereignisfolge so einseitig darzustellen, als würde erst der christliche Glaube in einer Gesellschaft die Armut der Menschen verursachen und fördern. Nein, oft sehen die Realitäten so aus, dass gerade der zunehmende Wohlstand in einer Gesellschaft die Menschen geistig vergiftet und dazu verleitet, Gott zu vergessen und in Bezug auf eigene Leistungen überheblich zu werden. Zwar gewinnen sie dann auf der einen, finanziell-materialistischen Seite viel, verlieren aber auf einer anderen, geistigen Seite noch mehr!
Wenn aber ein Mensch, ob reich oder arm, die Ehrfurcht vor Gott nicht verliert und somit auch die übernatürliche Komponente seiner Existenz gebührend im Auge behält, dann kann er besser die gesunde erforderliche Balance zwischen dem irdischen Auskommen auf der einen und der übernatürlichen Bestimmung auf der anderen Seite halten. Denn gerade das christliche Glaubensgebot einer gewissenhaften Erfüllung der eigenen Arbeitspflichten bzw. der Fürsorgepflicht um das materielle Auskommen der eigenen Familie unterstreichen die Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit und sogar Gottwohlgefälligkeit der Arbeit.
So sagte einmal ein bekannter älterer Priester vor fast 50 Jahren meinem eigenen Vater in der Beichte, er würde ja physisch schwer arbeiten und habe daher nicht so viel Zeit zum Gebet wie z.B. manche ältere Frau. Aber er solle seine Arbeit gewissenhaft erfüllen und so würde es ihm von Gott ebenfalls als Gebet angerechnet werden!

 

P. Eugen Rissling

 

 

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